ZDF Zuschauerredaktion
55100 Mainz
Deutschland05.08.2025
Programmbeschwerde – Sendung „logo! no front“ vom 12.07.2025 zum Thema Wehrpflicht
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit reiche ich Programmbeschwerde gegen die oben genannte Sendung ein, die aus meiner Sicht in mehrfacher Hinsicht gegen die gesetzlichen Vorgaben des Medienstaatsvertrags (MStV) sowie medienethische Grundprinzipien verstößt. Die nachfolgende Bewertung erfolgt differenziert in juristische und moralisch-pädagogische Kritikpunkte.
I. RECHTLICHE BEWERTUNG – VERSTÖSSE GEGEN DEN MEDIENSTAATSVERTRAG (MSTV)
1. Verstoß gegen das Gebot der journalistischen Sorgfalt (§ 6 Abs. 2 MStV)
In der Sendung werden zentrale Aussagen und politische Bewertungen (z. B. zu einer möglichen Wehrpflicht, zur militärischen Bedrohungslage und zur Personalstärke der Bundeswehr) einseitig und emotional aufgeladen vermittelt, ohne eine hinreichende Trennung zwischen Meinung und Information. Es wird keine kritische Gegenposition – etwa durch friedenspolitische Perspektiven – vorgestellt.
Beispiel: Die Moderation leitet die Diskussion mit einem starken Appell ein („Wärst du bereit, dein Land zu verteidigen?“), während das Thema Wehrpflicht als logische und notwendige Konsequenz dargestellt wird („Politiker haben beschlossen, wir müssen uns besser verteidigen können“).
2. Verstoß gegen das Gebot zur ausgewogenen Berichterstattung (§ 26 Abs. 1 MStV)
Der Beitrag baut dramaturgisch auf einen Ausgangszustand von 3 Kindern pro und 3 contra Wehrpflicht auf – endet aber mit der Einstimmigkeit: Alle sind sich einig, man muss etwas für sein Land tun. Kritische Stimmen (z. B. gegen das Töten im Krieg) werden im Laufe der Sendung zunehmend relativiert oder in Richtung eines Kompromisses gedrängt. Dies widerspricht dem Gebot der Meinungsvielfalt und Staatsferne.
3. Verstoß gegen den Schutz von Kindern (§ 8 Abs. 1 MStV)
Die Sendung konfrontiert Jugendliche im Alter von ca. 14–16 Jahren mit hochkomplexen ethischen Dilemmata: Wärst du bereit, im Ernstfall zu töten? Was, wenn du stirbst? Dabei wird mehrfach Druck aufgebaut („Wenn du nicht schießt, wirst du erschossen“) und suggeriert, dass Verweigerung gleichbedeutend mit Egoismus sei.
Dies ist unangemessen und potenziell entwicklungsbeeinträchtigend im Sinne des § 8 MStV. Die Diskussion überschreitet klar das Maß an altersgerechter Aufbereitung.
4. Graubereich unzulässiger Werbung (§ 8 Abs. 7 MStV)
Die Sendung präsentiert die Bundeswehr wiederholt positiv („man kann auch kochen, helfen, Leben retten“) und unterlässt jede kritische Distanzierung. Gerade im Kinderprogramm ist jede werbliche Wirkung zugunsten staatlicher Institutionen (hier: Bundeswehr) untersagt. Es handelt sich nicht um sachliche Information, sondern um eine implizite Imagepflege.
II. MORALISCH-PÄDAGOGISCHE BEWERTUNG – UNVERANTWORTLICHER UMGANG MIT JUGENDLICHEN
Unabhängig von juristischen Fragen stellt sich ein gravierendes ethisches Problem:
1. Indirekter Zwang zur Haltung bei fehlender politischer Mündigkeit
Die befragten Jugendlichen sind nicht wahlberechtigt und verfügen über keine politische Teilhabe – sollen aber öffentlich eine Haltung zu einem Thema beziehen, das existenzielle Tragweite hat (Kampf, Tod, Opferung der Lebensziele). Es wird nicht nur ihre Meinung abgefragt, sondern sie werden emotional dorthin geführt, ihre künftige Bereitschaft zum Militärdienst öffentlich zu bekennen.
2. Unverhältnismäßige Belastung durch Themen, die ihre Lebensplanung überfordern
Die Jugendlichen befinden sich in einer Lebensphase, in der berufliche Orientierung, persönliche Entwicklung und soziale Stabilität prägend sind. Die Sendung verlangt jedoch eine Auseinandersetzung mit Krieg, Töten und Tod – und das in einer Weise, die ihre Lebensplanung hypothetisch entwertet („Du könntest sterben“).
Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk trägt eine besondere Verantwortung, junge Menschen nicht zu traumatisieren oder zu indoktrinieren, sondern ihnen altersgerecht Perspektiven zu eröffnen. Diese Verantwortung wurde hier missachtet.
ZUSAMMENFASSUNG:
Die Sendung überschreitet klar die Grenzen dessen, was unter Aufklärung verstanden werden kann. Statt neutraler Information wird eine Richtung vorgegeben, die sowohl juristisch fragwürdig als auch ethisch unverantwortlich ist.
Ich fordere Sie auf, die redaktionelle Aufarbeitung dieses Beitrags zu prüfen und mir Rückmeldung zu geben, wie künftig derartige Auswüchse in Kinderprogrammen vermieden werden sollen.
Ich behalte mir ausdrücklich vor, bei Ausbleiben einer adäquaten Reaktion den ZDF-Fernsehrat sowie die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) einzuschalten.
Mit freundlichen Grüßen
Günther Klebinger
Günther Klebinger
Würzburg05.09.2025
Sehr geehrter Herr Klebinger,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 05.08.2025 an das ZDF. Sie sprechen darin das „logo! no.front“-Video vom 12.07.2025 an. Die Fernsehratsvorsitzende hat Ihre Eingabe gern. §21 Abs. 2 der ZDF-Satzung (Beschwerdeordnung) an mich zur Prüfung weitergeleitet. Gerne möchte ich Ihnen hiermit antworten und Sie zugleich darüber informieren, dass die Fernsehratsvorsitzende eine Kopie dieses Schreibens zur Kenntnis erhält.
Konkret kritisieren Sie, die Sendung zum Thema Wehrdienst und Wehrpflicht verstoße unter anderem gegen das „Gebot der journalistischen Sorgfalt“, sie sei „unangemessen und potenziell entwicklungsbeeinträchtigend“ und bewege sich Im „Graubereich unzulässiger Werbung“.
„logo! no.front“ ist ein Debattenformat, das sich nicht an Kinder, sondern an Jugendliche richtet. Dort werden auch kontroverse Themen diskutiert. Die Personen, die zu den Themen Wehrdienst und Wehrpflicht diskutiert haben, sind zwischen 13 und 16 Jahren alt. Für sie ist es ein realistisches Szenario, dass sie in wenigen Jahren einen Brief erhalten, in dem die Jungen gefragt werden, ob sie sich vorstellen könnten, einen Wehrdienst zu leisten. Die Debatten darüber sind für sie sehr präsent – sei es in den Medien, in der Schule oder in Gesprächen mit Freunden und der Familie.
Das Debattenformat „logo! no.front“ greift komplexe Themen – wie auch die Diskussion um einen Wehrdienst – auf und verschafft den Jugendlichen Gehör. Durch die Aufteilung in Pro- und Kontra-Teams werden mehrere Seiten eines Themas inhaltlich abgedeckt. Durch die eingespielten Informationsfilme – wie hier etwa zum Recht, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst zu verweigern oder zur Lage der Bundeswehr – werden Fakten beigesteuert, um die Diskussionen zu versachlichen und den Kenntnisstand der Diskutierenden auf einen einheitlichen Stand zu bringen. Die Jugendlichen werden ernst genommen, sie können Ängste, Meinungen, Gedanken äußern, hören sich zu, können sich überzeugen lassen oder überzeugen selbst andere. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich vor der Diskussion inhaltlich auf mit dem Thema auseinandergesetzt. Es gab intensive Vorgespräche und – wie mir die Redaktion versichert – eine Betreuung am Set, unter anderem durch Pädagoginnen und Pädagogen. Die Redaktion ist überzeugt, dass auch Meinungen und Gedanken von jungen Menschen zu kontroversen Themen sehr wichtig sind – auch wenn sie aufgrund ihres Alters und ihrer Erfahrungen einige Aspekte vielleicht noch nicht so durchdrungen haben wie Erwachsene. Expertinnen und Experten weisen immer wieder darauf hin, dass junge Menschen, ihre Bedürfnisse und Sichtweisen, in der Politik unterrepräsentiert seien und es wichtig sei, sie und ihre Interessen stärker einzubinden. Darüber hinaus zeigen Studien und Umfragen, dass das Interesse von Jugendlichen an Politik zuletzt sogar gestiegen ist.
Der Moderator stellt in dem Format auch zugespitzte Fragen, was der Anregung der Diskussion und dem Erkenntnisgewinn dient und ein gängiges Mittel in der Moderation von Talkrunden ist. Dass die Fragen stellenweise derart zugespitzt sind, wird auch von den Diskussions-Teilnehmenden selbst entsprechend eingeordnet. Durch die bewusste Aufteilung in Pro- und Kontra-Teams und die Flankierung durch faktenbasierte Informationsfilme gewährleistet das Format „logo! no.front“ eine größtmögliche Ausgewogenheit und Überparteilichkeit im Sinne von Ziffer IV. Abs. 3 der ZDF-Qualitäts- und Programmrichtlinien. Diese Richtlinien fordern in Ziffer III. Abs. 2 darüber hinaus, dass in den Angeboten unterschiedliche Meinungen zum Ausdruck kommen sollen und, dass durch sachgemäße Information die politische Urteilsfähigkeit gestärkt werden soll. Diesen Anforderungen genügen das Diskussionsformat „logo! no.front“ im Allgemeinen und auch die von Ihnen angesprochene Folge im Besonderen aus meiner Sicht uneingeschränkt.
Natürlich kann ein einzelnes Video nicht alle Themenbereiche abdecken; deshalb bitte ich Sie, das Angebot von „logo!“ in seiner Gesamtheit zu betrachten. In anderen Videos und im Online-Angebot zeigt „logo!“ weitere Aspekte zum Thema Wehrpflicht, Bundeswehr und Krieg.
Einen Verstoß gegen Programmgrundsätze oder gegen den Jugendmedienschutz kann ich auch nach Prüfung durch unsere Jugendschutzbeauftragte nicht erkennen. Gleichwohl danke ich Ihnen, sehr geehrter Herr Klebinger, für die kritische Begleitung unseres Angebots und würde mich freuen, wenn Sie dem ZDF-Programm auch weiterhin als interessierter und durchaus kritischer Zuschauer erhalten bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. NH
ZDF-Fernsehrat
ZDF-Straße 1
55127 Mainz15.09.2025
Betreff: Nachreichung zur Programmbeschwerde „logo! no.front“ vom 12.07.2025 – mangelnde Beantwortung wesentlicher Kritik durch Intendanz
Sehr geehrte Damen und Herren des Fernsehrats,
ich wende mich an Sie, um meine Programmbeschwerde vom 05.08.2025 bezüglich der Sendung „logo! no.front – Bereit, dein Land zu verteidigen?“ nach der Antwort des Intendanten Dr. H vom 05.09.2025 erneut aufzugreifen.
Ich sehe durch die Antwort keine ausreichende Entkräftung meiner Kritik – im Gegenteil: zentrale Punkte bleiben unbeantwortet, werden verharmlost oder in ihrer juristischen und ethischen Tragweite nicht ernst genommen. Ich möchte Sie daher als Kontrollorgan des ZDF bitten, die Sendung und auch die Bearbeitung meiner Beschwerde durch die Intendanz eingehend zu prüfen.
Konkret beanstande ich Folgendes:
- Die dramaturgische Entwicklung der Sendung zu einem Einheitsurteil („alle sind sich einig“) wird in der Antwort komplett ignoriert.
Die Sendung beginnt mit einer 3:3-Aufteilung und endet mit einem geschlossenen Konsens für Dienst am Land. Eine solche Entwicklung lässt starke Zweifel an der behaupteten Ausgewogenheit aufkommen.- Die Konfrontation Minderjähriger (13–16 Jahre) mit extremen ethischen Dilemmata wie Töten und Sterben wird nicht reflektiert.
Die Rechtfertigung durch „pädagogische Betreuung“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine medienethisch unangemessene Emotionalisierung stattfindet – u. a. durch Aussagen wie: „Wenn du ihn nicht tötest, wirst du getötet.“- Die werbliche Wirkung zugunsten der Bundeswehr bleibt unbeantwortet.
Es wird kein einziges Mal thematisiert, warum die Darstellung von Bundeswehrtätigkeiten überwiegend positiv und ohne kritischen Kontext erfolgt – obwohl § 8 Abs. 7 MStV in Kinder- und Jugendformaten jede Werbewirkung untersagt.- Der Hinweis auf andere „logo!“-Sendungen ist kein Argument.
Es geht um diese konkrete Folge, deren Dramaturgie, Gesprächsführung und Vermittlung von Kompromisslösungen nicht neutral, sondern auf eine befürwortende Haltung hin strukturiert waren.Ich halte die Ablehnung meiner Beschwerde durch die Intendanz daher für nicht tragfähig und bitte den Fernsehrat um:
- eine inhaltliche Bewertung der genannten Punkte,
- eine Prüfung, ob die Qualitäts- und Programmrichtlinien tatsächlich erfüllt wurden,
- und ggf. eine öffentliche Einordnung durch den Fernsehrat, wie mit solchen Formaten im Kinder- und Jugendbereich künftig umzugehen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Günther Klebinger
Günther Klebinger
Würzburg21.10.2025
Programmbeschwerde vom 15.09.2025 zur Sendung logo! no.front – Bereit dein Land zu
verteidigen – Ja oder Nein? vom 12.07.2025Sehr geehrter Herr Klebinger,
auf Ihr Schreiben vom 06.10.2025 habe ich entschieden, Ihre Programmbeschwerde zur o. g. Sendung gemäß § 21 Absatz 3 der ZDF-Satzung (Beschwerdeordnung) dem zuständigen Programmausschuss Programmdirektion als Beschwerdeausschuss zur Sitzung am 20.11.2025 vorzulegen.
Nach Behandlung der Beschwerde durch den Beschwerdeausschuss und einer entsprechenden Beschlussempfehlung an den Fernsehrat wird dieser in seiner Sitzung am 12.12.2025 über Ihre Programmbeschwerde beraten.
Sie haben die Möglichkeit, die Beratungen des Fernsehrates im Plenum im Livestream mitzuverfolgen. Die Tagesordnung und den Link zum Livestream finden Sie ca. eine Woche vor dem Sitzungstermin hier auf der Homepage: https://www.zdf.de/zdfunternehmen/zdf-fernsehrat-sitzungen-beschluesse-100.html
Über das Beratungsergebnis werden Sie im Nachgang zur Sitzung informiert.
Mit freundlichen Grüßen
GH
Fernsehratsvorsitzende
Warten wir also auf die Artwort nach dem 12.12.2025.
